Stellungnahmen "Signalwirkung wäre kontraproduktiv"

Der RSV nimmt zum FDP-Antrag zur Abschaffung der Pflicht zur landesweiten Dichtheisprüfung in Schleswig-Holstein Stellung und macht konkrete Vorschläge.

Start einer landesweiten Wasser- und Abwasserstrategie, Entwicklung eines gestaffelten Plans zur sukzessiven Instandhaltung, Anwendung des Konzepts "Kooperationsmodell" und Veröffentlichung von Fachbetriebslisten nach DWA-A 190 - das sind die Empfehlungen, die der Rohrleitungssanierungsverband nun an den Umwelt- und Agrarausschuss des Landes Schleswig-Holstein gesendet hat.

Die Stellungnahme des RSV im Wortlaut

An: Schleswig-Holsteinischer Landtag

Umwelt- und Agrarausschuss

Stellungnahme zu Drucksache 20/814: „Abwasserdichtheitsprüfung nur in begründeten Verdachtsfällen“
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Vielen Dank für die Gelegenheit, gegenüber den Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages Stellung zu nehmen zum o. g. Antrag der FDP-Fraktion.

Über uns                                                                                

Wir, der Rohrleitungssanierungsverband, vertreten bundesweit rund 120 spezialisierte Unternehmen aus dem Bereich der grabenlosen Kanalsanierung. In Schleswig-Holstein haben rund ein Dutzend unserer Mitgliedsfirmen ihren Hauptsitz, die öffentliche und private Abwasserleitungen inspizieren, renovieren oder reparieren.

Es handelt sich vorwiegend um mittelständische Unternehmen, die sich in hohem Maße für die regionale Wirtschaft engagieren. Sie sind zudem aktiv im Bereich der Ausbildung junger Menschen im Ausbildungsberuf „Umwelttechnologe für Rohrleitungsnetze und Industrieanlagen“[1].

Was vielen nicht bekannt sein dürfte: Technik „Made in Schleswig-Holstein“ ist international gefragt. Die Kieler Firma IBAK ist Weltmarktführer für spezialisierte Roboterkameras zur optischen Dichtheitsprüfung.

In der Summe beschäftigen die in der Dichtheitsprüfung und grabenlosen Kanalsanierung tätigen Unternehmen in Schleswig-Holstein schätzungsweise etwa 2000 bis 3000 qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, deren Arbeitsplätze durch eine Abschaffung der Dichtheitsprüfungspflicht akut gefährdet sind.

Stellungnahme zum Antrag der FDP

Zum konkreten Antrag nehmen wir hiermit wie folgt Stellung:

Wir empfehlen dem Landtag Schleswig-Holstein, den Antrag der FDP abzulehnen und sich im Sinne der anstehenden Aufgaben im Bereich Trinkwasser- und Gewässerschutz weiterhin für die flächendeckende Dichtheitsprüfung zu engagieren. Wir verweisen auf die Aussagen des Umweltministers Dr. Tobias Goldschmidt aus der Landtagssitzung vom 25. Mai 2023:

„In Schleswig-Holsteinhaben wir anders als in anderen Bundesländernmit Ausnahme der Insel Helgoland die Situation,dass wir unser gesamtes Trinkwasser aus demGrundwasser gewinnen. Das Grundwasser ist füruns also von überragender Bedeutung als Grundlageunseres Lebens. Im Übrigen gewinnen wir inSchleswig-Holstein Trinkwasser nicht nur aus Wasserschutzgebieten.“…„Ich finde, dass Eigentum verpflichtet. Wir habenheute schon an vielen Stellen diskutiert, dass esbesser ist, vorzusorgen als nachzusorgen. Auch ichmag keine Prüfungen, die ich selber bei mir zuHause durchführen muss, mache das aber, weil esdem großen Ganzen dient. In diesem Fall ist dasgroße Ganze das, was wir jeden Tag trinken: unserWasser.“

Die Signalwirkung, die eine entsprechende Regelung auf Öffentlichkeit, Bürger, Kommunen und Unternehmen als Arbeitgeber hätte, halten wir für äußerst kontraproduktiv – angesichts der wachsenden Herausforderung, die Verfügbarkeit von bezahlbarem Trinkwasser dauerhaft zu gewährleisten und die steigenden Kosten bei der Behandlung der durch Infiltration hervorgerufenen Fremdwasseraufkommen zu schultern.

Die im Antrag benannten „begründeten Verdachtsfälle“ entbehren aus unserer Sicht zudem einer praktischen Anwendbarkeit und einer rechtssicheren Umsetzung.

Die Aussage, dass „Eigentümer selbst ein Interesse daran haben, die Abwasserleitung in einem guten Zustand zu erhalten“ und undichte Leitungen „umgehend zu reparieren“, lässt sich durch konkrete Erfahrungen unserer Unternehmen eindeutig widerlegen. Immer wieder werden unsere Firmen regelmäßig zu ein- und demselben Hauseigentümer gerufen, um Wurzelwerk aus erdverlegten Abwasserleitungen zu entfernen.

Der Eigentümer merkt außerdem in seltenen Fällen, wenn sein erdverlegter Abwasserkanal undicht ist. So kann beispielsweise bei undichten Rohrverbindungen das Abwasser sukzessive exfiltrieren. Ob es sich um Medikamentenrückstände handelt oder andere Chemikalien aus dem Haushalt, liegt nachvollziehbarerweise jenseits der Fähigkeiten zur Erfüllung des „begründeten Verdachts“.

Der Antrag lässt außen vor, dass die Infiltration von Grund- und Schichtenwasser aus schadhaften privaten Entwässerungsleitungen durch die Gebührenzahler zu tragen ist und bundesweit ein Problem darstellt. Er lässt auch außen vor, dass die Schadensquote bei privaten Anschlussleitungen erheblich höher ist als die der öffentlichen Kanäle. Sie liegt nach Schätzungen der RSV-Unternehmen in Schleswig-Holstein bei rund 70 Prozent.

Die Aussage, dass mit der Pflicht zur Dichtheitsprüfung „Kosten, die nicht im Verhältnis zum Nutzen stehen“ entstehen, lässt darauf schließen, dass die Antragstellerin weder den Umwelt- und Verbraucherschutz noch die Interessen verantwortungsbewusster und auf den Werterhalt fokussierter Hauseigentümer vertritt. Erkennbar ist auch, dass eine gewisse Unkenntnis über die tatsächlichen Kosten einer Dichtheitsprüfung besteht. Zur Information verweisen wir auf die aktuelle Kostentabelle des Umweltministeriums im Anhang[2].

Anlass für die Aussage ist hingegen offensichtlich die durch die Antragstellerin verbundene Anerkennung der Tatsache, dass eine Dichtheitsprüfung zugleich auch oftmals eine Sanierung zur Folge hat. Dies ist in Anbetracht der oben genannten Situation privater Anschlussleitungen nicht zu widerlegen. In bestimmten Fällen übernimmt übrigens die Gebäudeversicherung die Kosten der Sanierung.

Wir weisen darauf hin, dass die Sanierung von Leitungen heute dank grabenloser Verfahren ohne das Aufbaggern von Gärten und Zuwegungen auskommt und damit deutlich kostengünstiger ist als vielfach angenommen. Die Technologien haben sich in den vergangenen Jahren – auch im Bereich privater Entwässerungsanlagen – kontinuierlich weiterentwickelt und etabliert. Informationen und den Verweis auf zuverlässige, zertifizierte Unternehmen aus Schleswig-Holstein gibt es unter www.rsv-ev.de/sh.

Empfehlungen des RSV

Zum Umstand, dass die bisherige Regelung in Schleswig-Holstein durch einen Erlass ausgesetzt und außerhalb von Wasserschutzgebieten auf 2040 verschoben wurde, hat sich der RSV-Vorstand bereits im März dieses Jahres geäußert. Diese ist auf unserer Internetseite abrufbar.[3]

Bei aller Kritik an der zuletzt getroffenen Entscheidung möchten wir auf die Chancen hinweisen, die das Land Schleswig-Holstein hat. Wir empfehlen deshalb die Anpassung der Durchführungshinweise zur DIN 1986-30 für die Selbstüberwachungspflichten bei privaten Grundstücksentwässerungsleitungen entsprechend folgenden Maßnahmen:

  1. Start einer landesweiten Strategie zur Wasser- und Leitungsinfrastruktur:Runder Tisch des Umweltministeriums mit Unteren Wasserbehörden, Verbänden, Netzbetreibern und Unternehmen zur Situation in Schleswig-Holstein, ggf. mit wissenschaftlicher Unterstützung
  2. Entwicklung eines gestaffelten Plans zur sukzessiven Instandhaltung kommunaler und privater Abwasserinfrastrukturen
  3. Landesweite Anwendung des Konzepts „Kooperationsmodell“ und entsprechende Anpassung der Durchführungshinweise
  4. Empfehlungen an Kommunen zur Gestaltung der Entwässerungssatzung sowie der Veröffentlichung von Fachbetriebslisten gemäß des 2023 aktualisierten Regelwerks DWA-A 190

Das Umweltministerium in Schleswig-Holstein verfügt aus unserer Sicht über das entsprechende Knowhow und die Möglichkeiten, diese Maßnahmen umzusetzen.

Beispiele aus anderen Bundesländern zeigen, dass die Akzeptanz der Bevölkerung bei der Umsetzung des Kooperationsmodells hoch ist, wenn im Zuge öffentlicher Sanierungsmaßnahmen im jeweiligen Gebiet auch der Zustand des privaten Anschlusskanals in Augenschein genommen wird.

Die Sorge der Politik, Hauseigentümer würden durch die Sanierung ihrer Grundstücksentwässerungsleitungen übermäßiger Bürokratie und Kosten ausgesetzt, ist zudem unbegründet. Aussage eines kommunalen Netzbetreibers, der im Bereich der Grundstücksentwässerung sehr aktiv ist und den wir zu dieser Stellungnahme konsultiert haben: „Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt: Kaum ein Eigentümer zeigt kein Verständnis für eine Sanierung seines schadhaften Misch- oder Schmutzwasserkanals.“

Gern stehen wir bei Informationsbedarf zu den Technologien und zu den Kosten zur Verfügung. Gern stellen wir auch den Kontakt zu Netzbetreibern aus anderen Bundesländern her, die von Erfahrungen mit konsequenten und kontinuierlichen Maßnahmen im Bereich der Grundstücksentwässerung berichten können.

Freundliche Grüße,

Reinhild Haacker

(Dieses Schreiben ist ohne Unterschrift gültig)

Anhang:

  • Vergleich der Modelle Seite 6-8, aus „Handlungsempfehlung zur Umsetzung der DIN 1986 Teil 30“ des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein­­, 2009
  • Stellungnahme des RSV vom 21. März 2023
  • Kooperationsmodelle Beispiele

[1] Die Umbenennung des Ausbildungsberufes gilt ab 2024. Bisher lautet der Titel „Fachkraft Rohr-, Kanal- und Industrieservice“

[2] Diese bedarf aus unserer Sicht einer Überarbeitung. Denn die Kosten variieren stark je nach Material der Leitung, Zugänglichkeit und Verschmutzungsgrad. Wichtig an dieser Stelle zu erwähnen ist: Mit einer Inspektion ist immer auch eine Reinigung der Leitungen in begriffen.

[3] https://rsv-ev.de/schleswig-holstein-dichtheitspruefung-stellungnahme-rsv

Der Antrag der FDP-Fraktion im Wortlaut

Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 20/814

Abwasserdichtheitsprüfung nur in begründeten Verdachtsfällen

Der Landtag wolle beschließen:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • die verpflichtende Funktionsüberprüfung privater Abwasserkanäle nur bei Neubauvorhaben, bei wesentlichen Änderungen und in begründeten Verdachtsfällen zu verlangen; bestehende Regelungen zur Prüfung industrieller oder gewerblicher Abwasseranlagen sowie abgelaufene Fristen bleiben davon unberührt,
  • die Verpflichtung zur wiederholten Durchführung einer landesweiten Abwasserdichtheitsprüfung abzuschaffen und die Bekanntmachung des Ministeriums zur Einführung der DIN 1986 Teil 30 dahingehend anzupassen,
  • den Kommunen in Wasserschutzgebieten die Möglichkeit zu geben, in begründeten Fällen des Verdachts auf Undichtigkeiten die Durchführung einer Abwasserdichtheitsprüfung zu verpflichten.

Begründung:

Die Grundlage für die Verpflichtung aller Grundstückseigentümer für die Zustands- und Funktionsüberprüfungen privater Abwasserleitungen ist das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes (WHG). Nach §61 WHG ist derjenige, der eine Abwasseranlage betreibt, verpflichtet, ihren Zustand und ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Regelungen in den Bundesländern konkretisieren diesen Grundsatz. Eine bundesrechtliche Verpflichtung zur verdachtslosen regelmäßigen Überprüfung gibt es nicht.

Die Verpflichtung zur Durchführung einer Abwasserdichtheitsprüfung verursacht bei Hauseigentümern Kosten, die nicht im Verhältnis zum Nutzen stehen. Eigentümer haben selbst ein Interesse daran, die Abwasserleitung in einem guten Zustand zu erhalten und Verstopfungen zum Beispiel durch Wurzeleinwüchse, die bei einer undichten Leitung entstehen, umgehend zu reparieren.

Dr. Bernd Buchholz

und Fraktion

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