RSV-News – Frage des Tages: "Mikroplastik aus Kunststoffrohren – eine Gefahr?"
Mit dieser Frage hat sich das Fraunhofer UMSICHT Institut intensiv beschäftigt.
Auf der Ro-Ka-Tech dieses Jahr wurde der RSV darauf angesprochen: Ist der Abrieb von Kunststoffrohren wirklich verantwortlich für Mikroplastik? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man bei Betonrohr-Ausstellern eine Broschüre in die Hand bekam mit dem Titel "Mikroplastikabrieb in der Kanalisation – Gefahr für Mensch und Umwelt?" Das Magazin beschäftigt sich ausgiebig mit der Gefahr von Mikroplastik, zum Beispiel auf den Organismus und auf die Umwelt. Das Kunststoffrohr als Verursacher zieht sich wie ein roter Faden durch das Magazin.
Die Antwort: "Eher gering"
Es lohnt sich ein Blick auf das Impressum. Herausgeber der Broschüre ist der Fachverband für Betonrohre und Stahlbetonrohre (FBS), jener Verband, der im Jahr 2021 einen Sonderbericht in Auftrag gegeben hat zum Thema Mikroplastikabrieb aus Kunststoffrohren – und zwar beim Forschungsinstitut Fraunhofer UMSICHT, das sich seit Jahren auf Auswertungen von Mikroplastik in der Umwelt spezialisiert hat. Die Wissenschaftler nahmen unter anderem anhand der Berechnungen des Abriebverhaltens von Rohren eine detaillierte Einschätzung vor. So beurteilte das Institut in Bezug auf Rohre in einer zusammenfassenden Pressemitteilung:
"Die Ergebnisse der Abriebmengen liegen somit weit unter den Abriebmengen, die zum Beispiel durch Pellets entstehen (14924 t/a) entstehen, aber in vergleichbarer Größenordnung wie Rasentrimmer (123 t/a)3. Die Abschätzungen zeigen, dass zurzeit die Mengen an Kunststoffabrieb im Vergleich zur Gesamtmenge der Mikroplastikemissionen eher gering sind”.
Hintergrund: In der früheren Konsortialstudie ging das Institut noch von einem Wert von 12,0 Gramm pro Person und Jahr (990 Tonnen pro Jahr) bei Abwasserrohren aus Kunststoff als Verursacher aus – mit der neuen Betrachtung sind es "nur" noch 1,45 Gramm pro Person und Jahr (120 Tonnen pro Jahr). In der Liste der Hauptverursacher von Mikroplastik würde damit Abrieb aus Rohrleitungen auf Platz 24 von 30 landen – knapp hinter dem Abrieb aus den erwähnten Rasentrimmern und Motorsensen. Unangefochtener Spitzenreiter ist der Abrieb aus Reifen (hier geht es zum ausführlichen Bericht).
Einmal Platz 2, einmal Platz 24? Zwei Studien, zwei "Hitlisten"
"Kunststoffrohre sind der zweitgrößte Kunststoffmüll-Verursacher in der Umwelt" – so lautet hingegen der erschreckende Titel auf Seite 10 in der auf der Ro-Ka-Tech verteilten Broschüre. Platz eins sind wieder die Reifen, dahinter folgen direkt Rohre auf Platz zwei. Unter dem Hinweis "Kunststoffeintrag in Tonnen" schlagen sie mit 4.620 bis 46.200 Tonnen pro Jahr zu Buche.
Wie kann das sein? Wer die UMSICHT-Studie kennt, dürfte sich besonders gewundert haben. Bei genauem Hinsehen wird klar: Die Rede ist nicht von "Mikroplastik", sondern von "Plastikmüll". Es geht auch nicht um die "Kanalisation", sondern nun um die "Umwelt". Auf die Feinheiten kommt es eben an.
Die Studie, auf die dort verwiesen wird, wurde vom Institut Ökopol im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt und im Jahr 2019 veröffentlicht und lag somit den Fraunhofer UMSICHT-Wissenschaftlern 2021 vor, als sie im Auftrag des FBS den Bericht zu den Kunststoffrohren formulierten.
Die Studie von Ökopol ist im Original im Internet verfügbar. Sie trägt den Titel: "Erarbeitung einer Systematik für erste Schätzungen zum Verbleib von Abfällen und anderen Produkten aus Kunststoffen in verschiedenen Umweltmedien". Alle möglichen Produkte werden dort betrachtet, die nach Produktgruppen sortiert werden. Bei den Rohren verweist die Studie auch auf die Konsortialstudie des Instituts UMSICHT (2018), bezieht aber zusätzlich Mengen an Rohren mit ein, die beispielsweise bei Abbrucharbeiten nicht fachgerecht entsorgt werden. Dies betrifft laut den Schätzungen der Autoren 1 bis 10 % der Kunststoffrohre – deshalb die erstaunlich hohe Spanne von 4.620 bis 46.200 Tonnen. Selbst der niedrige angenommene Wert ist immer noch mehr als zehnmal so hoch wie die Menge, die die UMSICHT-Wissenschaftler zu den Rohren für den Fall ermittelt haben, dass der Anteil von Kunststoffen in öffentlichen Netzen kräftig steigt.
Warum die "Kanalisation" nicht gemeint sein dürfte
Wie kommen solche Zahlen zustande? Dass es keine genauen Daten gibt, liegt der Ökopol-Studie zufolge mit gewissen Faktoren zusammen, die die Autoren dort offen benennen. So bestehe "systematisch die Herausforderung, dass es gerade für die hier in Frage stehenden fest eingebauten Kunststoffprodukte im Normalfall keine routinemäßigen Wartungs- und Instandhaltungsroutinen o.ä. gibt".
Ausgerechnet der öffentliche Netzbetrieb dürfte damit also nicht gemeint sein, denn die Kanalisation ist durch die Pflicht zur Selbstkontrolle gemäß Wasserhaushaltsgesetz hinreichend geregelt. Auch die Forscher des Fraunhofer UMSICHT gehen in dem vom FBS beauftragten Bericht auf die Ergebnisse von Ökopol ein. In der Bewertung 2021 heißt es:
"Der Anteil an Kunststoffrohren am öffentlichen Kanalnetz ist noch relativ gering – die Abriebsmengen würden proportional mit einem wachsenden Anteil ebenfalls steigen. In Nordamerika und Skandinavien ist der Kunststoffanteil bereits wesentlich höher. Wenn man von einer Verdreifachung des Kunststoffanteils auf ca. 50 % ausgehen würde, würde sich die Abschätzung der Emission im Betrieb auf den wahrscheinlichsten Wert von 180 t/a und einen Maximalwert von 450 t/a für das öffentliche Kanalnetz erhöhen."
Obwohl die FBS beim Fraunhofer UMSICHT zwei Jahre später die Beurteilung von Mikroplastik aus Kunststoffrohren im Abwasser beauftragt hat, schlussfolgert der Verband nun: "Im Kanalbau wird derzeit also ein Kunststoffprodukt in enormen Mengen eingesetzt, von dem wir nicht genau wissen, wie hoch seine Kunststoffemissionen sind."
Entsorgung renovierter, erdverlegter Leitungen
Keine besondere Erwähnung fanden in der Ökopol-Studie übrigens grabenlose Kanalsanierungsprodukte – trotz der bekanntermaßen wachsenden Bedeutung. Der Frage nach der Entsorgung dürften wir in Zukunft allerdings eine erhöhte Sensibilität widmen. Denn neben der weltweiten Notwendigkeit zur Berücksichtigung des CO2-Fußabdrucks bei der Materialauswahl wächst die Bedeutung der Recycling-Fähigkeit und der Entsorgungswege.
Apropos: Wie werden zum Beispiel deinstallierte Schlauchliner fachgerecht entsorgt? Diese Frage tauchte ebenfalls auf der Ro-Ka-Tech auf. Dies erörtern wir in der nächsten "Frage des Tages".
Hinweis: Dem RSV liegt es fern, sich an einem "Produkt-Bashing" der Rohrmaterialien zu beteiligen. Stattdessen liegt unser Fokus auf den technischen Spezifikationen grabenloser und minimalinvasiver Sanierungsverfahren sowie den nachhaltigen Einsatz von Technik und Material. Klar ist: Nicht der Werkstoff an sich ist von Bedeutung, sondern der vernünftige Umgang damit.
Da auch das Teilen dieses Beitrags dazu beitragen kann, das Produkt-Bashing anzuheizen, werden Sie ihn nur hier lesen. Wir verzichten auf eine Verbreitung in Social-Media-Kanälen und suchen stattdessen das Gespräch mit den Protagonisten.
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