RSV-News – Fachanwältin im Interview: "Beim Thema Asbest in Leitungen halten sich hartnäckige Mythen"
Im Interview mit dem RSV räumt Fachanwältin Victoria von Minnigerode mit oft zitierten Mythen auf – von der Unzulässigkeit „lebensverlängernder“ Maßnahmen über die Frage eines grundsätzlichen Überdeckungsverbotes bis hin zur vieldiskutierten Ausbaupflicht.
Victoria von Minnigerode ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht bei Rödl & Partner und befasst sich unter anderem mit den gefahrstoffrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit erdverlegten AZ-Leitungen. Zuletzt hat sie bei den Nürnberger Kolloquien zur Trinkwasserversorgung und im Rahmen der Münchner Runde – Expertenforum zur Kanalsanierung - über die Herausforderungen referiert, die im Zuge der geplanten Novelle der Gefahrstoffverordnung auf Kommunen, Versorger und Gebührenzahler zukommen könnten. Im RSV-Interview berichtet sie über die aktuelle Situation - auch für den Umgang mit Abwasserleitungen aus Asbestzement.
Frau von Minnigerode, wir werden immer wieder darauf angesprochen, dass eine Instandhaltung eines AZ-Kanals eine lebensverlängernde Maßnahme darstellen könnte. Was ist dran?
Dieser Begriff steht im Kontext einer inzwischen verworfenen Rechtsauffassung aus Bayern, die davon ausging, dass die REACH-Verordnung lebensverlängernde Maßnahmen an asbesthaltigen Anlagen verbiete. Inzwischen hat man erkannt, dass der gesetzliche Wortlaut hier tatsächlich nicht auf eine „Lebensverlängerung“, sondern auf das „Ende der Nutzungsdauer“ abstellt. Das ist keineswegs miteinander gleichzusetzen. Die Annahme, dass lebensverlängernde Maßnahmen rechtlich unzulässig und damit pauschal abzulehnen seien, ist nach aktueller Rechtslage schlicht unzutreffend. Für erdverlegte Rohrleitungen aus Asbestzement bedeutet das, dass etwa Liningverfahren, auch wenn sie die Lebensdauer eines Rohres möglicherweise verlängern, unter bestimmten Voraussetzungen durchaus zulässig sind. Leider halten sich manche Fehlinformationen auch bei zuständigen Behörden und anderen Beteiligten hartnäckig, was nicht nur eine erhebliche Verzögerung geplanter Vorhaben, sondern auch ein hohes Maß an Verunsicherung zu Folge hat.
Was ist mit dem Überdeckungsverbot, das ebenfalls immer wieder zur Sprache kommt?
Die Gefahrstoffverordnung sieht in ihrer aktuell gültigen Fassung ein Verbot von Überdeckungs-, Überbauungs- und Beschichtungsarbeiten an Asbestzementdächern und -wandverkleidungen vor. Es handelt sich um einen Passus, der sich ausdrücklich auf Wand- und Deckenverkleidungen bezieht, um Bauherren und Auftragnehmer im Hochbau davor zu schützen, unbemerkt schädliche Baumaterialien zu bearbeiten. Für alle anderen Baumaterialien und Anlagen – also auch für Rohrleitungen – gilt dieser Absatz nicht. In der Vergangenheit wurde zum Teil angenommen, Liningverfahren seien möglicherweise aufgrund dieser Regelung unzulässig. Auch hierbei handelt es sich jedoch um eine Fehlinformation, die inzwischen von den zuständigen Stellen korrigiert wurde.
Wie ist der derzeitige Stand der Dinge? Gilt die neue Gefahrstoffverordnung schon?
Eine Überarbeitung der Gefahrstoffverordnung ist schon länger im Gespräch. Ein erster Entwurf wurde im Frühjahr 2022 veröffentlicht - der letzte vom Bundesarbeitsministerium veröffentliche, überarbeitete Stand des Entwurfs stammt von März 2023. Nach meinem Kenntnisstand sollte die Novelle eigentlich nach der Sommerpause auf den Weg gebracht werden. Es gibt aber noch entscheidende Kritikpunkte und Nachbesserungsbedarf – insbesondere mit Blick auf die Differenzierung zwischen Asbest im Gebäudebestand und in erdverlegten Anlagen. Man kann nur hoffen, dass eine Überarbeitung der letzten Entwurfsfassung ursächlich für die aktuellen Verzögerungen ist.
Was würde es für Kommunen, Versorger und Abwassernetzbetreiber bedeuten, wenn die Gefahrstoffverordnung so verabschiedet werden würde, wie sie jetzt geplant ist?
Bei allen gut gemeinten Regelungen, die Auftraggeber und ausführende Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen und damit dem Arbeitsschutz dienen sollen – beim Umgang mit erdverlegten Leitungen wirft der aktuelle Entwurf der Novelle mehr Fragen auf, als dass er Antworten liefert. Die Regelungen sind auf den Gebäudebestand ausgelegt. Ob und inwieweit sie auf die Stilllegung, Passivierung oder Instandhaltung erdverlegter Rohrleitungen Anwendung finden können, bedarf noch dringend einer Klarstellung. Meines Erachtens sollte die Gefahrstoffverordnung dem Umstand Rechnung tragen, dass von erdverlegten Leitungen, für deren Sanierung emissionsarme Verfahren zur Verfügung stehen, keine mit Asbest im Gebäudebestand vergleichbare Gefahr ausgeht. Die gefährliche Faserfreisetzung an die Atemluft wird durch das Belassen im Boden ja gerade verhindert. Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber auch auf europäischer Ebene gerade keine Ausbaupflicht vorsieht, sollten angesichts der finanziellen Lage der Kommunen und der beschränkten Deponiekapazitäten praktikable Lösungen gefunden werden. Dass eine flächendeckende Dokumentation der Leitungen dabei unerlässlich ist, steht freilich außer Frage.
Was ist mit der Gültigkeit von emissionsarmen Verfahren bei Rohrleitungen nach der TRGS 519, die seit Jahren im Arbeitsschutz gelten und um die sich auch der RSV bemüht?
Mit eben dieser Frage befasst sich der aktuelle Entwurf der Novelle meines Erachtens nicht hinreichend. Die derzeit geplanten Regelungen lassen zu viel Raum für Interpretation, wo eigentlich Klarheit herrschen sollte. Es bleibt zu hoffen, dass sich das BMAS noch einmal eingehend mit der Sache befasst und den aktuellen Entwurf entsprechend überarbeitet.