Ausschreibung und Vergabe
Rechtliche Grundlagen zur produktneutralen Ausschreibung
Wie produktneutral müssen öffentliche Ausschreibungen sein? Ein Blick auf die rechtlichen Grundlagen.
Genauso wie im privaten Vertragsrecht gilt zunächst das Motto: "Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird". Auftraggeber verfügen nach geltender Rechtsprechung über die Beschaffungsautonomie:
Beschaffungsautonomie / Vertragsfreiheit des Auftraggebers
- "Entschließt er sich zur Beschaffung, ist er frei in seiner Entscheidung, welchen Auftragsgegenstand er für erforderlich oder wünschenswert hält. Die Bestimmung ist einer etwaigen Ausschreibung und Vergabe vorgelagert und muss vom öffentlichen Auftraggeber erst einmal in einer zu einer Nachfrage führenden Weise getroffen werden, bevor die Vergabe und das Vergabeverfahren betreffende Belange der an der Leistungserbringung interessierten Unternehmen berührt sein können.“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2010 – Verg 42/09).
- „Hat der Auftraggeber die Leistung bestimmt und entsprechend ausgeschrieben, dann unterliegt die ausgeschriebene Leistung freilich den einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften.“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2010 – Verg 42/09).
Ausschreibung öffentlicher Bauleistungen
Detaillierte Anforderungen an öffentliche Ausschreibungen sind in der "Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen" (VOB/A) geregelt. Die obersten Grundsätze:
§2 VOB/A (Diskriminierungsverbot)
(1) Bauleistungen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen sind zu bekämpfen.
(2) Bei der Vergabe von Bauleistungen darf kein Unternehmen diskriminiert werden.
(3) Bauleistungen werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu angemessenen Preisen vergeben.
Leitfabrikate
Wen ein Auftraggeber für leistungsfähig und zuverlässig hält, wird im Rahmen eines öffentlichen Bieterwettbewerbs ermittelt. Nicht selten begrenzt die Leistungsbeschreibung bereits die Zahl der Bieter von vornherein damit, dass klare Angaben zum verwendeten Vorprodukt gemacht werden – etwa durch die Forderung, dass bestimmte Materialien oder Verfahren bei der Herstellung des Produkts zum Einsatz kommen sollen.
Wird ein konkretes Produkt gewünscht, hat es die ausschreibende Stelle oftmals schwer, dies produktneutral zu formulieren. Vor allem dann, wenn es nur einen großen Anbieter gibt, dessen Produkt ein Alleinstellungsmerkmal hat. Bei solchen Leitfabrikaten gilt deshalb im Vergaberecht eine Ausnahme. So ist es mit dem Zusatz "oder gleichwertig" möglich, die Leistung zu beschreiben. "Das Risiko für den Bieter liegt dann darin, dass er die Gleichwertigkeit des von ihm angebotenen Alternativprodukts zum Leitprodukt nachzuweisen hat" (Quelle)
§7 VOB/A (Produktneutrale Ausschreibung)
(2) In technischen Spezifikationen darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen oder einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, es sei denn,
1. dies ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt oder
2. der Auftragsgegenstand kann nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden; solche Verweise sind mit dem Zusatz "oder gleichwertig" zu versehen.
Quelle: Gesetze im Internet
Auswirkungen auf die Leistungsbeschreibung
Nach geltender Rechtsmeinung folgt daraus die Forderung, "die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt". (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66 / 18)
Die Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge sieht die Produktneutralität auch dann gefährdet, wenn mehrere Firmen begünstigt oder benachteiligt werden – mit einer Einschränkung.
§31 VgV (Leistungsbeschreibung)
In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Solche Verweise sind ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand anderenfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann; diese Verweise sind mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen.
Quelle: Gesetze im Internet
Ausnahme durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt?
Der Auftragsgegenstand – die Sanierung eines Abwasserkanals – wird in Deutschland durch Regelwerke und Merkblätter bestimmt. Werden in einer Ausschreibung bestimmte Produkte wegen ihrer Herstellungsart vom Bieterwettbewerb ausgeschlossen, ist zu hinterfragen, in wieweit zum Beispiel die Funktionsfähigkeit des sanierten Kanalrohrs im Ergebnis von der Auswahl des verwendeten Materials bzw. Herstellungsverfahrens abhängt. Ist anhand von Überwachungsmechanismen keine Unterscheidung belegbar, dürfte diese Ausnahme nicht gelten.
Autor: Reinhild Haacker, 18. Januar 2023. Angaben ohne Gewähr.
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